Podcast mit Xaver Büschel zu dem Thema "Kontaktabbruch zu den Eltern: Wann ziehen wir Grenzen?"
Sender: Deutschlandfunk Nova, Köln
Podcast: Facts & Feelings
Erscheinungsdatum: 26. Mai 2025
Ein Cut mit den Eltern bedeutet, dass wir raus sind aus ihrem Leben und sie aus unserem. Komplett, inklusive Weihnachten und Geburtstag. Wie wir mit der möglichen Trauer, Enttäuschung und den Schuldgefühlen umgehen können.
Es ist Freitagabend. Marie steht in der Küche, ist eigentlich auf dem Sprung. Plötzlich steht ihr Vater vor ihr. "Ohne Vorankündigung, ohne Vorstreit, ohne alles ging es von null auf hundert", erzählt Marie. Der Streit wird heftig, eskaliert. Der Grund: Marie ist dreimal durch die gleiche Prüfung gerasselt und damit aus ihrem Studium geflogen.
"Er hat mich beleidigt, mich beschimpft, ich hätte nicht genug für das Studium getan und sein ganzes Geld auf den Kopf gehauen", sagt sie. Denn Maries Vater hatte die Studiengebühren bezahlt. "Irgendwann hat er mich am Kragen gepackt. Da ist Gott sei Dank meine Mutter dazwischen gegangen." Nach diesem Streit bricht Marie den Kontakt zu ihrem Vater ab.
Kontaktabbruch als klare Grenzziehung sehen
Der Streit ist inzwischen zehn Jahre her. Damals war Marie Anfang 20. Einen Versuch, aufeinander zuzugehen, hat es seitdem nicht gegeben. Marie weiß von ihrer Familie, dass ihr Vater sein damaliges Verhalten wohl als "nicht ganz korrekt" beschrieben hat, persönlich entschuldigt hat er sich bei seiner Tochter jedoch nicht.
"Dieser Streit hat mich so erschüttert, so wachgerüttelt. Plötzlich wusste ich: 'Ich möchte nicht, dass man so mit mir umgeht.'"
Marie, hat keinen Kontakt mehr zum Vater
Xaver Büschel ist Paar- und Familientherapeut. Das, was gemeinhin als Kontaktabbruch zu den Eltern bezeichnet wird, sieht er als einen Akt der Abgrenzung. "Es steht doch jedem Menschen zu, respektvoll behandelt zu werden", sagt er.
Besondere Bedeutung der Eltern in der Gesellschaft
Aufgrund der besonderen Rolle der Eltern in unserem Leben, aber auch aufgrund unserer Sozialisation ist es für viele Menschen kein leichter Schritt, sich so radikal von den Eltern abzunabeln, erklärt der Familientherapeut. Denn schon in der Bibel heiße es ja: Du sollst Vater und Mutter ehren. Das hätten wir, ob religiös oder nicht, verinnerlicht.
Marie hat ihre Entscheidung bislang nicht bereut. "Ich kann es selbst nur schwer beschreiben, warum das für mich so eine klare Sache ist", sagt sie. Dennoch gebe es immer noch Situationen, in denen sie sich auch als inzwischen 30-Jährige einen Papa an ihrer Seite wünscht, beim Autokauf zum Beispiel. Oder wenn wichtige Dinge in ihrem Leben passieren.
"Ich hätte gern einen Vater gehabt, der stolz ist, sich kümmert und da ist. Aber ich vermisse nicht meinen Vater, das ist für mich ein Unterschied."
Marie, hat keinen Kontakt mehr zum Vater
Von jetzt auf gleich den Kontakt zu einem Elternteil abzubrechen, klingt vielleicht krass. Für Michael Wilken ist dieses Verhalten aber nichts Ungewöhnliches. Er ist psychologischer Psychotherapeut und arbeitet unter anderem mit Menschen zusammen, die im Erwachsenenalter Probleme mit ihren Eltern haben.
Wenn sich der Kontakt nicht mehr richtig anfühlt
Die Gründe dafür können vielfältig sein, sagt der Therapeut: von schwierigen Kindheitserinnerungen bis Traumata. Aber es könne auch um vermeintlich banale Dinge gehen. Geld spiele oft eine Rolle oder dass man sich seitens der Eltern nicht ernst genommen oder abgewertet fühlt.
"Grundsätzlich ist es immer legitim, sich zu trennen, natürlich auch von den Eltern. Da gibt es kein Richtig oder Falsch."
Michael Wilken, psychologischer Psychotherapeut
Wer den Cut kommunizieren möchte, dem rät Michael Wilken, sich auf das Gespräch vorzubereiten. Dabei sollten wir möglichst nicht anklagend formulieren, sondern versuchen darzustellen, warum dieser Schritt für uns richtig ist. Man könne sich auch überlegen, eine Tür offenzulassen, also den Eltern signalisieren, dass der Abbruch nicht für immer sein muss.
Die Konsequenzen der Trennung berücksichtigen
Wenn die Trennung vollzogen ist, verspüren viele zunächst eine Erleichterung. Doch dann folgt ein ganzes Potpourri an Gefühlen, sagt Michael Wilken, von Trauer bis Wut. Auch Enttäuschung spiele eine Rolle, zum Beispiel weil man erkennt, dass man nicht doch noch die Kurve gekriegt hat mit den Eltern. Es gebe aber auch die Enttäuschung, wenn man als Sohn oder Tochter erkennt, dass die Eltern nicht um einen kämpfen. "So etwas kann sich wie eine erneute Form von Zurückweisung oder Enttäuschung anfühlen", sagt der Therapeut.
"Eine Trennung ist für beide Seiten schwer. Für denjenigen, von dem sich getrennt wird, aber auch für denjenigen, der sich trennt."
Michael Wilken, psychologischer Psychotherapeut
Marie hat die Trennung von ihrem Vater gut verarbeitet, trauert der Beziehung nicht mehr hinterher. Doch die ersten Jahre, sagt sie, war das anders: "Da war ich auch an Geburtstagsfeiern und an Weihnachten immer außen vor. Das war schon eine Bloßstellung für mich." Inzwischen verletze sie das nicht mehr.
Therapeut Michael Wilken rät in jedem Fall, sich bei einer Trennung von den Eltern Unterstützung zu suchen, sei es im Freundeskreis, im Rahmen einer Selbsthilfegruppe oder einer Therapie. Denn das Thema Eltern sei groß, wir müssen es nicht alleine verhackstücken.
Gesprächspartnerin: Marie, hat den Kontakt zu ihrem Vater abgebrochen
Gesprächspartner: Xaver Büschel, systemischer Paar- und Familientherapeut
Gesprächspartner: Michael Wilken, psychologischer Psychotherapeut
Autorin und Host: Shalin Rogall
Redaktion: Caro Nieder, Christoph Richter, Anne Göbel
Produktion: Uwe Breunig
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